Auszug aus einem Brief von Jörg Pircher aus dem Gefängnis, Herbst 1966

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Lieber Freund!

Es kommt nicht oft vor, dass ich Gelegenheit habe, Dir einen Kassiber zu senden und hoffe auch, dass er Dich erreicht. Vor allem sei recht herzlich gegrüßt mit Frau und Kindern. Ein besonderer Gruß an die treuen und aufrechten Freunde. Mit einem aufrechten Tiroler „Vergelt´s Gott“ möchte ich mein Schreiben beginnen und für alles, was Du und Deine Freunde für die heißgeliebte Heimat, für unsere Familien und nicht zuletzt für uns politische Häftlinge getan habt. Mit bangem Herzen verfolgen wir die Geschehnisse in und um unsere Heimat, die sich in letzter Zeit von Tag zu Tag verschlechtern und den Anschein haben, endgültig unseren Todfeinden ausgeliefert zu werden. Den langen Opferweg, den wir bis heute beschritten haben, angefangen von den schrecklichen Foltern und Qualen in den Polizeikasernen, durch zwei aufreibende Prozesse bis hinauf zu den ständigen Verleumdungen von unseren politischen Vertretern – wo auch der „walsche Seppl“ (Bischof von Brixen) seine dreckigen Hände mit im Spiel hat – greift uns nicht so sehr an wie der schändliche Verrat, den die Wiener Regierung dabei ist zu begehen.

Dass wir Südtiroler ausgerechnet so lange warten mussten, bis uns eine rein schwarze Regierung auf dem Altar der EWG opfert und somit eine Volksgruppe seinem Schicksal überlässt, das den sicheren Tod bedeutet, hätten wir nie zu denken gewagt. Es ist bekannt, dass Wien nicht das erste Mal die Tiroler verraten hat. Ich weigere mich aber zu glauben, dass das österreichische Volk diesen Verrat an seinen Brüdern im Süden gutheißt und damit einverstanden ist.

Wenn der Herr Kanzler Klaus den Italienern immer noch sein volles Vertrauen schenkt (was er mir einmal persönlich bestätigte), sein unreifer Außenminister, der obendrein auch zu schwach ist, diesem haushoch unterlegen ist, so müsste wenigstens der Landeshauptmann von Tirol sich entgegenstemmen und seinen Landleuten ein treuer Befürworter bleiben und nicht, wie in letzter Zeit, immer mehr von der aufrechten Linie in das andere Lager abrutschen. Im eigenen Land steht es auch nicht zum Besten. Die Aufrechten will man um jeden Preis und mit jedem Mittel mundtot machen, das Volk weiterhin irreführen und so ihr teuflisches Spiel zu Ende treiben. Es bleibt kein anderer Weg, als den Freiheitskampf fortzusetzen, wenn er auch lange und dauervoll ist, es ist das einzige Mittel, von dem Joch der Unterdrückung loszukommen, der Kolonialherrschaft ein Ende zu setzen, der Assimilation im letzten Moment noch vorzubeugen und das Deutschtum im Süden zu retten. Dass dies der richtige Weg ist, zeigt auch die Reaktion von der anderen Seite, die diesem Kampf machtlos gegenüberstünde, hätte sich unser „Schutzpatron“ nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Wie bei uns die politischen Verhältnisse liegen, ist das der einzige Ausweg oder besser die einzige Rettung vor dem sicheren Untergang, denn diesmal geht es nicht mehr bloß um einzelne Kompetenzen für eine ungenügende Autonomie – was nichts anderes bedeutet als neuen Zeitgewinn an ihrem Vorhaben – sondern um Sein oder Nichtsein einer ganzen Volksgruppe. Diesmal darf nicht wieder der gleiche Fehler gemacht werden wie 1946-48, diesmal kann nur mehr eine Forderung gelten und die heißt SELBSTBESTIMMUNG FÜR DAS SÜDTIROLER VOLK.

Dein Freund Jörg

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