Bericht über die Kundgebung auf Schloss Sigmundskron 1957 von Sepp Mitterhofer, Zeitzeuge

Pinterest LinkedIn Tumblr +


Es ist natürlich schwierig, einen Bericht zu schreiben, dessen Ereignisse 50 Jahre zurückliegen. Er kann deshalb nur bruchstückhaft ausfallen.

Erfahren habe ich von der geplanten Kundgebung aus der Zeitung „Dolomiten“, dass die Südtiroler Volkspartei eine Demonstration abhalten möchte. Der auslösende Faktor war ein Dekret von Minister Togni, das vorsah, in Bozen einen neuen Stadtteil mit 5.000 Wohnungen zu schaffen.

Man muss sich einmal die Situation der damaligen Zeit vor Augen führen:

Die Südtiroler hatten die gewaltsame Italienisierungspolitik der Faschistenzeit hinter sich. Die Option mit ihren fatalen Auswirkungen durch Schwächung und Streit innerhalb der Südtiroler Volksgruppe ebenfalls. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden wir Südtiroler wieder enttäuscht. Obwohl 166.000 Unterschriften im ganzen Land für die Forderung nach Selbstbestimmung heimlich gesammelt wurden, hatten die Alliierten in Paris bei der Friedenskonferenz wenig Verständnis dafür und opferten Südtirol höheren politischen Interessen und sprachen unser Land wieder – entgegen den Grundsätzen Wilsons und des Völkerrechts – dem Staat Italien zu.


Die Zeit der zweiten Hälfte der vierziger und ersten Hälfte der fünfziger Jahre war in Südtirol geprägt von Italienisierung mit etwas demokratischeren Methoden, von volkstumspolitischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausbeutung. In den Schlüsselstellungen der öffentlichen Arbeitsstellen saßen immer noch die Faschisten, welche ihren Arbeitskollegen aus dem Süden Arbeitsplätze verschafften.

Bei den Neubauwohnungen wurde ein Punktesystem eingeführt, das vorsah, dass diejenigen die neuen Wohnungen erhielten, welche aufgrund schlechter Wohnverhältnisse mehr Punkte bekamen. Die zugezogenen Italiener erhielten in Bozen in Holzbaracken eine vorläufige Unterkunft und hatten den Vorteil für höhere Punktezahl als wir Südtiroler. Durch die staatlich geförderte Unterwanderung kamen die nächsten Zuwanderer wieder in denselben Holzbaracken unter und das Spiel begann von vorne.


So hatten die Südtiroler keine Chance auf Arbeit und Wohnung und mussten deshalb zu tausenden ins Ausland gehen, um überleben zu können. Bei den öffentlichen Arbeitsplätzen und bei den Neubauwohnungen war das Verhältnis 90 % Italiener zu nur 10 % Südtiroler.


Von der Doppelsprachigkeit in den öffentlichen Ämtern war überhaupt keine Rede, es herrschte durchwegs die „Siamo in Italia“-Mentalität. Und da durch die Zusammenlegung der beiden Provinzen Bozen und Trient in die Region Trentino-Alto Adige die Italiener eine 2/3-Mehrheit besaßen, verteilten sie die Gelder auch zu ihren Gunsten.


Mit diesen jahrelang praktizierten Methoden entstand in unserer Heimat natürlich ein unerträgliches Klima, das durch die Ankündigung Tognis dann das Fass zum Überlaufen brachte.


Auch die Verhaftung von 8 jungen Pfunderer Burschen, welche laut Anklage einen jungen Finanzer bei einer Gasthausrauferei getötet haben sollten, trug wesentlich zum aufgeheizten Klima bei. Sie wurden dann zu 10 bis 24 Jahren Haft verurteilt. Ein menschenrechtswidriges politisches Hassurteil, das im In- und Ausland viel Protest ausgelöst hat. Dazu kam noch, dass alle unschuldig verurteilt wurden, da der Finanzer, als er in der Nacht von der Rauferei davonlief, die Brücke verfehlte und in den Bach stürzte.


Ende 1956 regte sich dann erstmals Widerstand in unseren Land; es fanden die ersten Sprengungen statt. Eine Gruppe um Hans Stieler hatte bei der Eisenbahn mehrere Sprengungen aus Protest durchgeführt. Leider sind sie alsbald aufgeflogen und verhaftet worden.


Das war in kurzen Worten das politische Klima in Südtirol zur damaligen Zeit, und ich bin der Meinung, es ist wichtig, dies zu wissen, damit man die späteren Ereignisse auch besser verstehen kann.


Nachdem ich in den Dolomiten vom Aufruf zur Kundgebung gelesen hatte, sprach ich mit einigen Freunden darüber und wir fuhren dann zu viert in einem 600er, den ich mir von meinem Cousin ausgeliehen hatte, nach Sigmundskron. Es war für uns junge Burschen etwas Außergewöhnliches, einmal etwas Konkretes direkt für unsere Heimat tun zu können. Da wir schon im Vorfeld gehört hatten, dass die ganze Angelegenheit nicht ganz ungefährlich werden könnte, hatte es noch mehr Reiz und unsere Abenteuerlust wurde dadurch gefördert.


Als wir die Straße nach Sigmundskron (Dorf) fuhren, war schon kaum mehr ein Weiterkommen, soviele Menschen waren unterwegs, z.T. zu Fuß, andere mit dem Auto oder Motorrad und sogar Lastwagen mit Menschen beladen. Beeindruckend und beängstigend zugleich waren die vielen bewaffneten Carabinieri und Spezialeinheiten verschiedener Waffengattungen, welche links und rechts am Wegrand offen, aber auch hinter Büschen versteckt positioniert waren und für „Sicherheit und Ordnung“ sorgen sollten. Dass sie nicht für unsere Sicherheit hier waren, merkte man sofort an ihren finsteren Mienen und argwöhnischen Blicken. Allerdings sah man auch verängstigte Gesichter, denn dass so viele Südtiroler kommen würden, hatten sie wohl selbst nicht geahnt. Unter uns Teilnehmern war eine Art Aufbruchstimmung zu spüren: Es war etwas ganz anderes als das gewöhnliche Südtiroler Alltagsleben. Wir konnten endlich einmal selbst etwas gegen die miserable Situation in unserer Heimat tun.


So genau wussten wir ja auch wieder nicht wie und was alles ablaufen würde. Das große Aufgebot an Ordnungshütern zeigte uns aber, dass die Lage ernst war und auch nicht ungefährlich, denn die Läufe der Maschinenpistolen waren alle auf uns gerichtet. Es wurden auch viele Spruchbänder mitgetragen, manche wurden erst im Schlosshof entrollt. Es wurden die verschiedensten Varianten zum Ausdruck gebracht: „Los von Trient“ sah man sehr häufig, weil es die offizielle Linie der Südtiroler Volkspartei war. Dann „Selbstbestimmung für Südtirol“, „Tirol den Tirolern“, „Volk in Not“, „Gebt uns unsere Rechte“ und viele andere.


Mit harter Mühe hatten wir uns bis zum Schlosshof durchgekämpft, es waren einfach zu viele Leute unterwegs. Es hatte lange gedauert, bis die vielen Landsleute im Schlosshof untergebracht worden waren und der offizielle Teil beginnen konnte.


Ich gehe nicht auf die Aussagen der verschiedenen Redner (Magnago, Pircher-Hofmann und Norbert Gasser) ein; sie werden sicher in dieser Broschüre veröffentlicht werden. Insgesamt kann man sagen, dass sie eher zurückhaltend waren. Wahrscheinlich, weil die SVP das „Los von Trient“ ausgerufen hatte und wohl besonders, weil sich eine Gruppe um Sepp Kerschbaumer, Jörg Pircher jun. und Luis Amplatz gebildet hatte, welche unbedingt nach Bozen marschieren wollte, um den Italienern zu zeigen, dass die Stadt auch uns Südtirolern gehört. Die Spannung im Schlosshof war groß und als dann mehrere Teilnehmer laut riefen: „Wir marschieren nach Bozen, die Stadt gehört auch uns“, stieg das Barometer auf den Siedepunkt. Es kam dann schließlich doch nicht dazu, weil Magnago die Leute beschwor, er habe das deutsche Wort dafür gegeben.


Man kann heute nicht sagen, was damals passiert wäre, wenn es zum Marsch auf Bozen gekommen wäre. Möglicherweise hätte es auch Menschenleben gekostet, wenn auf der einen oder anderen Seite einem Heißsporn die Nerven durchgegangen wären. Wahrscheinlich hätte aber die Südtirolpolitik eine andere Wende genommen.


Man muss die Kundgebung aber auch unter einem anderen Aspekt sehen. All die Enttäuschungen der Südtiroler – nämlich die Ablehnung des Selbstbestimmungsrechtes für Südtirol durch die Alliierten bei der Friedenskonferenz in Paris, trotz der heimlich gesammelten 166.000 Unterschriften dafür, die Nichteinhaltung des Pariser Abkommens zum Schutz der deutschen Bevölkerung in Südtirol und dann noch die Zusammenlegung der beiden Provinzen Bozen und Trient zu einer Region, um uns zu majorisieren – waren so schwerwiegend, dass wir uns sagen mussten, auf solche Art und Weise werden wir Tiroler südlich des Brenners nicht mehr lange existieren können.


Die meisten Teilnehmer hatten etwas Außergewöhnliches erwartet, kräftigere markante Aussagen, einen Schritt, der das an den Südtirolern begangene völkerrechtswidrige Unrecht wider zu Recht biegt. Zumindest einen Versuch zu machen. Wir wissen alle, dass solche Probleme nicht von einem Tag auf den anderen zu lösen sind. Bei der Autonomie hat es ja auch über 30 Jahre bis zur Streitbeilegungserklärung gedauert. Da passt ein Satz vom international anerkannten Völkerrechtler und Südtirolfreund Prof. Dr. Felix Ermacora gut dazu. Er sagte im Grieser Kulturheim bei einer Versammlung: „Keine Macht der Erde kann einem Volk auf die Dauer die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht. Aber wollen und fordern muss man sie!“


Diese Enttäuschung bei der Kundgebung auf Schloss Sigmundskron hat ganz sicher dazu beigetragen, dass die Gruppe um Sepp Kerschbaumer (ich bin erst 4 Monate später dazu gekommen) sich ernstlich Gedanken gemacht hat, wie es nun weitergehen soll. Wir haben angefangen, im ganzen Land Menschen zu suchen, welche unsere Idee unterstützen und auch bereit waren, für die schwer bedrohte Heimat ein Opfer zu bringen. So ist eigentlich aus der Kundgebung auf Schloss Sigmundskron der BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) geboren worden.


Meran, 23. Juli 2007

Share.

Leave A Reply

wwwww