Das nun zu
Ende gehende Jahr 2009 war geprägt durch das 200jährige Gedenken an den
Freiheitskampf der Tiroler von 1809. In ganz Tirol wurden zu diesem
Anlass kirchliche und weltliche Gedenkfeiern abgehalten; es wurden
bleibende Aktionen gesetzt wie Gedenksteine und Tafeln enthüllt, Straßen
und Plätze wurden nach den Freiheitskämpfern benannt und anderes mehr.
Der Höhepunkt des Gedenkjahres war unzweifelhaft der Landesfestumzug in Innsbruck mit 35.000 Teilnehmern aus allen Teilen Tirols und den 70.000 Zuschauern. Der Festumzug war ein großartiges, gut organisiertes Ereignis, auf das Tirol stolz sein kann: Die Einheit in der Vielfalt der Vereine, Trachtengruppen, Schützen, Musikkapellen, Traditionsverbände, Militär, Feuerwehren, Aktivisten des Freiheitskampfes usw. Dank der Hartnäckigkeit des Südtiroler Schützenbundes wurden auch Transparente mit politischen Botschaften aus Südtirol mitgetragen. Im Vorfeld des Festumzuges hat es monatelange Diskussionen über das Mittragen der Dornenkrone und der Transparente mit den politischen Aussagen gegeben. Die Politiker diesseits und jenseits des Brenners wollten ursprünglich einen folkloristischen Schönwetterumzug veranstalten, welcher Tirol in den besten Farben darstellen und sogar die Einheit Tirols widerspiegeln sollte. Sie wollten keinesfalls Italien durch das Mittragen von Aussagen wie „Los von Rom“, „Wiedervereinigung Tirols durch Selbstbestimmung“ usw. vergraulen und dadurch die Handelsbeziehungen stören!
Wir Südtiroler denken da nun einmal anders. Wir müssen leider feststellen, dass trotz der „besten Autonomie“, wie viele Politiker sie fälschlicherweise nennen, die Assimilierung weitergeht! Und wenn sie in diesem Tempo fortschreitet, dann fürchte ich, dass wir in 10-15 Jahren eine Volksabstimmung nicht mehr gewinnen werden. Dann wären die vielen und großen Opfer der fünfziger und sechziger Jahre umsonst gewesen. Das darf einfach nicht sein, wir müssen uns verstärkt einsetzen, damit wir von diesem Staat loskommen, der uns nur Unglück und Leid gebracht hat! Der italienische Staat hat sein Ziel, uns zu assimilieren, nie aufgegeben, er versucht es nur mit anderen Mitteln und zwar mit der Ausrede, dass es in Europa keine Grenzen mehr gebe, dass für das friedliche Zusammenleben Opfer gebracht werden müssen (unser Verzicht auf Freiheit???), dass alles schon verjährt sei usw. Dadurch wird das eigentliche Ziel verdeckt und der volkstumspolitischen Untergrabung die Schärfe genommen. Viele unserer Landsleute merken die große Gefahr gar nicht mehr, weil sie zu gutgläubig sind und weil der politische Weitblick durch das „Uns fehlt ja nichts“ getrübt wird.
Bei den Nord- und Osttirolern ist es noch viel schlimmer; sie erleben die vielen Schikanen, die Rückläufigkeit unserer Muttersprache und die schleichende Assimilierung vor Ort nicht und sehen nur den hohen Landeshaushalt und den Wohlstand. Sie wissen nicht, dass das Land Südtirol viele Kompetenzen selbst finanzieren muss, zum Unterschied vom Bundesland Tirol, wo viele Zuständigkeiten beim Bund liegen und diese auch finanziert. Sie sehen Südtirol in den rosigsten Farben und glauben, wir seien immer noch von Geld und Glück überhäuft.
Nun aber noch einmal zurück zum Festumzug: Der SHB hat für die Freiheitskämpfer der fünfziger und sechziger Jahre im Dezember 2008 um Teilnahme beim Festumzug in Innsbruck angesucht. Ich war mit einem Festkomiteemitglied in Verbindung und habe ständig nachgefragt. Aber erst am 8. September 2009, also 12 Tage vor dem Festumzug habe ich von Andreas Khol die schriftliche Zusage erhalten. Also 8 Monate hat man uns hingehalten, wohl in der Hoffnung, dass wir das Handtuch werfen. Aber als ich gemerkt habe, dass sie uns nicht dabei haben wollten, habe ich mir gesagt, jetzt erst recht, wir sind auf dem richtigen Weg. Außerdem musste ich die beim Festumzug teilnehmenden Freiheitskämpfer und jene, welche auf der Tribüne Platz nehmen konnten, als einzige teilnehmende Gruppe namentlich melden. Eine reine Schikane, um uns die Teilnahme zu versauern oder gar zu verwehren.
Der durchgehend starke Applaus durch das Publikum beim Umzug und vor allem bei den Tribünen hat uns gezeigt, dass diese Entscheidung mitzugehen, richtig war. Wir haben ein Transparent mitgetragen mit dem Text „Trotz Autonomie – die Heimat in Gefahr. Selbstbestimmung für Südtirol“ und neben dem Bild von Sepp Kerschbaumer „Gerechtigkeit und Menschlichkeit für die Freiheitskämpfer im Exil“. Auf der Hinterseite das Bild vom toten Franz Höfler.
Der Text war den Organisatoren zu negativ, wir sollten etwas Positiveres schreiben. Ich erklärte Andreas Khol kurz und bündig: Das ist die wahre Situation in Südtirol, wenn das zuviel ist, dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Ich habe daraufhin nichts mehr gehört und wir haben das Transparent dann auch mitgetragen. Die Transparente mit den politischen Botschaften konnten die Organisatoren auf Druck des Südtiroler Schützenbundes nicht verhindern; deshalb hat der ORF aber, wohl auf Weisung von oben, die Gruppen, welche politische Transparente getragen haben, ausgeblendet, als sie bei der Ehrentribüne vorbeimarschiert sind. Dadurch haben sie erreicht, dass die Millionen Zuschauer zuhause vor dem Fernseher diese gar nicht zu sehen bekommen haben. Ganz ein mieser Trick, um die wahre Situation in Südtirol zu verschweigen!
Rund um den Festumzug sind in der Polemik von hohen Politikern Aussagen getätigt worden, welche für diese eigentlich sehr beschämend sind: Z.B. hat Nordtirols Landeshauptmann Platter gesagt: „Seit die Grenzbalken gefallen sind, ist Tirol praktisch wiedervereinigt!“ Ja weiß er wirklich nicht, dass die Polit- und Verwaltungsgrenze am Brenner nach wie vor existiert, dass wir dem höchsten Steuerdruck in der EU ausgesetzt sind, dass wir den Schikanen der Finanzpolizei, Carabinieri und Polizei nach wie vor ausgeliefert sind, dass wir täglich um unsere Muttersprache kämpfen müssen und dass die Assimilierung andauernd fortschreitet, sodass unsere Volksgruppe in großer Gefahr ist? Oder als der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer im Frühsommer bei einem Besuch in Rom erklärt hat, dass Südtirol die beste Autonomie der Welt hat! Sehr peinlich für ihn, wenn der SVP-Parlamentarier Karl Zeller einige Wochen vorher öffentlich erklärt hat, dass die dynamische Autonomie tot sei, dass sie schon jahrelang rückläufig sei!
Oder wenn der Präsident des Südtiroler Landtages Dieter Steger anlässlich der Kundgebung gegen den Kapuziner-Wastl und die faschistischen Relikte im Frühjahr 2009 die Schützen und Selbstbestimmungsbefürworter als „Zündler“ und „Aufwiegler“ hinstellt und als Ewiggestrige bezeichnet. Dann muss ich als alter Hase, der seit 50 Jahren in der Politik tätig ist, sagen, dass diese jungen Politiker nichts aus der Geschichte gelernt haben! Denn man kann schlecht die Zukunft aufbauen, wenn man die Vergangenheit nicht kennt, sie verleugnet oder nichts daraus lernen will!! Steger wurde von der SVP zu schnell auf den Sessel des Landtagspräsidenten gehievt, denn es hat sich wieder einmal gezeigt, dass Unerfahrenheit, mangelnde Sach- und Geschichtskenntnisse schlechte Eigenschaften für eine solche Position sind, abgesehen vom schlechten politischen Stil!
SVP-Obmann Richard Theiner hat sich im Herbst, als die Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung (AGS) die Broschüre „Südtirol- die gestohlene Zukunft“ herausgab, auch benommen wie der Elefant im Porzellanladen! Er hat die ganze Gruppe als Schreier und Polemikmacher hingestellt, welche nur Illusionen wecken, Hass und Zwietracht säen. Wenn er nicht im Juni bei unserer Sitzung anwesend gewesen wäre, würde ich sagen, er kennt die Leute nicht, die dort schon jahrelang ehrenamtlich mitarbeiten. Bei dieser Arbeitsgruppe sind auch junge Leute dabei, Obmänner von Verbänden und Vertreter von anderen deutschen Parteien und Bewegungen, aber der größere Teil sind ältere Herren, welche schon jahrzehntelang als SVP-ler in der Politik tätig waren und verantwortungsvolle Posten bekleidet haben. Wir haben auch große Opfer für unsere Heimat gebracht, deshalb weisen wir solche abwertende Äußerungen entschieden zurück; das ist schlechter politischer Stil. Vor der Wahl zum SVP-Obmann hat Theiner noch von der Selbstbestimmung geschwärmt, aber nachher hat er sofort einen Rückzieher gemacht. Was sollen wir davon in Zukunft halten?
Da war Landeshauptmann Durnwalder der schlauere und wohl auch mehr erfahrene Politiker; er hat nicht so gedankenlos zum „Rundumschlag“ ausgeholt, sondern mäßigere Kritik geübt an den „ewiggestrigen“ Selbstbestimmungs- befürwortern.
Bekanntlich soll man aber nicht nur Negatives aufzeigen, sondern auch Positives. Dazu gehört ohne Zweifel das Gedenkjahr der Tiroler Freiheitskämpfe mit seinen Feiern und bleibenden Gedenkstätten sowie Publikationen. Dies alles hat die Stimmung und das Selbstbewusstsein im Lande gestärkt.
Der Zulauf der Jugend zu den patriotischen Verbänden und Parteien ist ein gutes Zeichen. Schon das allein sollte der SVP zu denken geben, ob sie mit ihrer Autonomie-Politik wohl auf dem richtigen Weg ist! Die autonomiefeindliche Berlusconi-Regierung mit den negativen Aussagen etlicher Minister zur Südtirol-Autonomie und der katastrophalen Wirtschaft und Staatsverschuldung Italiens spricht auch nicht für ein Festhalten an der längst bröckelnden Autonomie. SVP-Parlamentarier Karl Zeller hat es im Frühjahr klipp und klar gesagt: “Die dynamische Autonomie ist tot, es geht schon jahrelang rückwärts!“
Auch die SVP wird ihre politische Position überdenken müssen, bevor sie von der Zeit und dem Volk überrollt wird! Sie hat laut Gründungsstatut nicht nur die Aufgabe und Pflicht, für das wirtschaftliche Wohl der Südtiroler zu sorgen, sondern vor allem für das volkstumspolitische Überleben unserer Volksgruppe, damit wir unsere Muttersprache und Tiroler Kultur erhalten und unseren Kindern weitergeben können! Um das „Los von Italien“ durch Selbstbestimmung erreichen zu können, müssen alle Volksgruppen im Lande, Deutsche, Ladiner und auch die Italiener, sofern sie guten Willens sind und die Geschichte unseres Landes anerkennen, beim gleichen Strick ziehen. Wir müssen Rom zeigen, dass wir mit diesem bankrotten Staat, der uns nur Unglück und Leid gebracht hat, nichts mehr zu tun haben wollen, dass wir ohne ihn besser und glücklicher leben wollen und können!
Bis es soweit ist liegt sicher noch ein sehr großes Stück Arbeit vor uns; aber wenn wir wollen und gemeinsam dieses Problem angehen, bin ich überzeugt, dass wir es schaffen. Für dieses Ziel lohnt es sich immer noch zu arbeiten und zu kämpfen!!
Der Bundesobmann
Sepp Mitterhofer
i. A. der Bundesleitung des Südtiroler Heimatbundes
Süd-Tirol, Sylvester 2009