Josef Almberger – In ehrendem Gedenken an einen Südtiroler Freiheitskämpfer

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Am 11. Februar 2015 ist im Stubaital Josef (Sepp) Almberger verstorben. Lange Jahre war der gebürtige Pseirer Wirt auf der Stöcklen Alm in Oberbergtal. Der „Kanonen Sepp“, wie er wegen seiner Böllerbegrüßung landauf und landab auch genannt wurde, war aber in seiner Jugend einer jener Menschen, die Unrecht nicht tatenlos hinnehmen wollten. So flüchtete er zusammen mit Jörg Klotz aus Südtirol, als in Südtirol die Verhaftungen der Patrioten begannen. Als bekannt wurde, dass in den Carabinierikasernen menschenrechtswidrig brutal gefoltert wurde, forderte dies eine Reaktion der geflüchteten Freiheitskämpfer geradezu heraus. Der Ultner Bernhard Unterholzner wird im Auftrag des Carabinierihautmanns De Rosa nach seiner Verhaftung schwer gefoltert. Drei Tage darauf starten Sepp Almberger, Jörg Klotz und Peter Kienesberger eine Vergeltungsaktion!


Die Veröffentlichung der Geschehnisse in der Nacht des 21/ 22. August (Quelle: “Sie nannten uns Terroristen“ von P. Kienesberger und A. Euler!) müssen aus der Sicht der damaligen Zeit gelesen werden. In keiner Weise soll damit zu illegalen Aktionen in der heutigen Zeit aufgerufen werden. So wie die Schlachten am Bergisel ist der Freiheitskampf der sechziger Jahre heute Geschichte. Dass auch bei diesem „Einsatz“ über zwei Meter über den Köpfen der Soldaten gefeuert wurde, zeigt, dass es den Freiheitskämpfern nicht ums morden ging. Wie leicht hätte der im Krieg ausgebildete Scharfschütze Klotz ein Blutbad anrichten können. Er wollte aber keine Toten!
Aber unsere Jugend hat das Recht, die Umstände und die Vorgänge in den sechziger Jahren, in die auch die schweren Menschenrechtsverletzungen durch Italien bis zu einem bezahlten Mord fallen, zu erfahren.

Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes

 

DAS UNTERNEHMEN DE ROSA

Einen Schluck abgestandenes Wasser aus der Feldflasche – ein Stück weich und wieder hart gewordene Schokolade – mehr brauchen die drei Männer aus Südtirol nicht, um ihrer Anspannung Herr zu werden.
Schwarz liegt der Wald hinter ihnen, mächtig aufsteigend und schemenhaft, wie sie es selbst sind in dieser Nacht des 21. August 1961.
Der Boden ist muldenreich, Unterholz und Wurzeln machen das Dahingleiten schwer.
Dennoch lautlos streben die Drei ihrem Ziel zu – einem jähen Abbruch zur Straße hin, kaum hundert Meter von ihr entfernt und dreißig Meter über ihr.
Das milchige Lichtgespinst einer Vollmondnacht lässt geübte Augen wahrnehmen, was im Tal sich bewegt.
Es bewegt sich um genau 22.34 Uhr viel – fast zu viel für das sonst stille Tal der Passer.
Die Männer haben Zeit – Zeit genug, an jede verstrichene Minute der letzten Stunde zu denken.
Sechzig atemberaubende Minuten, die einem gefährlichen Zweitagemarsch erst seinen Sinn gaben.
Nicht von vielen oder den falschen Menschen gesehen werden – Pass nahe Gipfel, schräg abfallende Wände, Hochalmen und belebtere Niederungen machen einen solchen Weg noch mühsamer.
Wer bauchige Rucksäcke, Maschinenpistole, Zielfernrohr und Sturmgewehr bei sich hat, die Taschen voller Magazine, loser Munition und Sprengstoff der Marke TNT nach St. Martin im Passeier trägt, quert die Berge und Täler nicht unbekümmert.
Die Pfade des Widerstandes in Südtirol sind verschwiegen und dunkel wie die Nacht – auch wenn der Himmel mit Sternen übersät ist und der Sommermond sein Licht ausgießt.

– – –

Vor zweieinhalb Stunden haben die Männer ihren Unterschlupf verlassen. Die Dämmerung ist ihre Zeit.
Durch das Fernglas kontrollieren sie den Doppelposten der Alpini, der die schmale Bezirksstraße in Richtung Jaufenpass, entlang der rauschenden Passer, zu sichern hat. Das Zelt, in dem fünfzehn Soldaten hausen, klebt unweit einer kleinen Brücke am Schräghang, das Maschinengewehr daneben hat die jenseits der Passer sich weithin erstreckende Wiese, aus der ein Hochspannungsmast wächst, vor dem Lauf – im Zwielicht, einem riesigen Insekt vergleichbar, das sich zum Abflug aufgerichtet hat. Auf der Brücke, die einen Seitenbach der Passer überdeckt, kreuzen halbstündlich die Militär-Jeeps, die in beiden Richtungen die Stecke befahren.
Seit dem abgelaufenen Ultimatum der Südtiroler Freiheitskämpfer sind die Besatzer noch wachsamer.
Aber doch nicht wachsam genug, denn die drei Männer erreichen im Rücken des Brückenpostens den Mast und laden ihn in fast zwei Meter Höhe.
Das TNT in festen Körpern hat an Brisanz nichts verloren. Es stammt aus dem letzten Kriegsjahr 1945, von rückflutenden Pioniereinheiten der Wehrmacht liegen-gelassen und von Südtirolern für die Stunde X aufbewahrt.-
Die Männer am Mast arbeiten konzentriert und schnell.
Während zwei den Sprengstoff anbringen, Zündschnur und Sprengkapsel einsetzen, sicher der Dritte – die Maschinenpistole im Anschlag.
Jeder Handgriff sitzt.
Worte sind nicht nötig, sechs Augen sprechen lautlos.
Als das umgehängte Sturmgewehr gegen Metall klirrt – die Nacht trägt Geräusche weit – liegen die Männer flach im Gras.
Der Mast ist geladen.
Nun bleibt das Gefährlichste zu tun: das Anbrennen der Zündschnur – für dreißig Minuten berechnet.
Unter der Windbluse flammt das Streichholz auf, springt der Funke mit einem Zischlaut über, schlägt eine kleine Flamme zurück.
Die Schnur brennt – ab nun zählt jede Minute.
– – –

Die Alpini sind ahnungslos – sie haben nichts bemerkt.
Drei Schemen, schwere Rucksäcke schleppend, die Waffen schussbereit, huschen die Passer abwärts zu einem behelfsmäßigen Steg aus vier Seilen und darübergelegten Brettern, den die Bauern benützen.
Ein Glück, dass die Passer rauscht.
Die Männer halten sich nicht auf, erklettern die steile Böschung, springen über die höher liegende Straße und tauschen in einem Maisfeld unter.
Die letzten Meter der Zündschnur müssen brennen, –
vielleicht noch drei, vier Minuten und dann – – –
Zweihundert Meter vom Mast entfernt warten sie, bis das stählerne Insektengerippe donnernd aus seiner Verankerung gerissen wird, die Kabel zusammenschlagen und flammende Lichterbögen die Nacht erhellen. –
Noch vier Minuten –
drei –
zwei –
eins –
Es gibt eine Verzögerung. – War die Zündschnur länger?
Die Drei halten den Atem an –
Als sie sich wieder zu atmen getrauen, klingt es wie gemurmelte Flüche.
Nach weiteren zehn Minuten wissen sie: zwei müssen zum Mast zurück.
Dass sie es müssen, steht nicht zur Debatte.
Der Dritte wird Feuerschutz geben.
Wieder queren sie Böschung, Straße, Steg und Wiese –
Ziehen die Sprengkapsel aus der Ladung, tasten die Schnur ab –
Finden die Bruchstelle, die den Funken aufgehalten hat –
Trennten das tote Stück vom Rest der Schnur –
Rechnen blitzschnell und – zünden, nachdem die Sprengkapsel angebracht ist, neu.
180 Sekunden bleiben für den Rückweg – eine knappe Spanne Zeit – aber sie riskieren es.
Einer zieht sich schon in Richtung Behelfssteig zurück – der Zweite reißt die Flamme an, dann hetzt auch er – jeden Nachtschatten ausnützend – selbst nur ein Schatten – über die Wiese. –
Atem pressend liegen sie im Straßengraben, da taucht der Kontrolljeep auf
Gespenstisch, einem Finger gleich, tastet der Handscheinwerfer die nahen Hänge ab – die Soldaten im Fahrzeug unterhalten sich laut – im Schritt-Tempo fährt der Jeep an den Männern vorbei – kleine Steine, die von der Fahrbahn in den Graben springen, kollern auf die Liegenden.
Es kann nur mehr Sekunden dauern – der Riesenfinger des Handscheinwerfers wandert weiter –
Der Jeep biegt in die Kurve ein –
da flammt das Tal auf – die Detonation der Sprengung setzt sich im peitschenden Knall der zusammenschlagenden Kabel fort – weißgrelles Licht – wie das eines riesigen Schweißapparats – reißt die Finsternis auf – der stürzende Mast neigt sich langsam zur Seite.
Knirschen, Ächzen, Brechen von Stahl –
Das Gerippe des Urweltinsekts liegt auf dem brennenden Wiesengrund.
Das italienische MG tackt –
Leuchtspurketten aus automatischen Handfeuerwaffen prasseln in die Flammen –
Genau dorthin, wo sich kein Täter verbirgt – Schreie – Rufe – Kommandos untermalen das Chaos –
Oberhalb des Maisfeldes aber lachen drei Männer befreit auf, denn jetzt dürfen sie es – der Lärm schluckt ihre kehligen Stimmen. –

– – –

22.34 Uhr.
Weil die Alpini vor panischer Angst ergriffen sind, kommen ihre Gewehre nicht zur Ruhe.
Dass in ihrem Rücken die Gefahr droht, bedenken sie nicht.
Sie glauben, den Gegner vom Hang gegenüber vertreiben zu müssen.
Die Südtiroler genießen das Schauspiel und warten.
Ihr Auftrag ist noch nicht erfüllt.

– – –

In den umliegenden Bauernhäusern sind die Lichter verlöscht.
Nichts hören – nichts sehen – nichts wissen – lautet die Parole.
Jene, die gehört oder gesehen haben, wissen dennoch nichts – Wissende schweigen.
Aus St. Leonhard und St. Martin treffen die ersten Campagnolas ein. Sie bringen Verstärkung heran, fahren wieder ab.
Die Posten auf der Brücke werden verdoppelt, ein Jeep kurvt wie wild in der Wiese, nähert sich dem gesprengten Mast – dreht aber wieder um, weil es nicht ratsam ist, in die Kabel zu fahren. –

– – –

23.30 Uhr.
Die Männer, die kaum hundert Meter über der Straße am Rande des Abbruchs liegen, lesen mit Sorge die Zeit vom phosphoreszierenden Ziffernblatt der Uhr.
Um 0,20 Uhr verschwindet der Mond und mit ihm das letzte Schlusslicht.
Haben sie sich verrechnet?
Bleibt die Campagnola aus Meran aus?
Warten die höheren Offiziere der Untersuchungskommission den Tag ab?
Haben sie mit dem Foltern verhafteter Südtiroler zu viel zu tun?
Für scharfe Verhöre bevorzugen sie die Nacht.
Drei Nächte vor dieser ist Bernhard Unterholzner auf Geheiß des Carabinieri-Hauptmannes De Rosa bis aufs Blut gepeinigt worden.
Man weiß viel im Land –
Mehr als den Besatzern lieb ist –
Man erfährt es rasch –
Jedenfalls rascher, als die Italiener es vermuten. –

– – –

23.45 Uhr –
Der Mond schwimmt am Firmament bergzu –
Die Nacht wird dunkler –
In fünf Minuten ist kein sicherer Schuss mehr anzubringen.
Sicher – das heißt nicht t r e f f e n , sondern gefährlich warnen.
Die große „Paura“ (Angst) sollen sie entfesseln – die Angst schüren. Mitten im Land – inmitten tausender Carabinieri – einfach zeigen, dass sie da sind und immer dann da sein werden, wenn es gilt, dem Terror Widerstand entgegenzusetzen. –
Für Bernhard Unterholzner, der in der Nacht zum 18. August 1961 gequält worden ist – für alle anderen Verhafteten, die verhört, gefoltert, gedemütigt werden.

– – –

23.55 Uhr.
Die Uniformierten, die noch immer wild gestikulierend an der Brücke stehen – ihre Stimmen tragen weit – diese Italiener aus Sizilien, Kalabrien, aus der Lombardei kennen die große „paura“ zur Genüge, die Angst vor den Tälern, den ungewohnten Bergen und den trutzigen Menschen.
Abweisend sind ihre Blicke – beklemmend ist die Natur.
Jeder Einzelne von ihnen muss dieses Unbehagen spüren: vielleicht werde i c h morgen beschossen – vielleicht, so fragen sie sich, gehören w i r wirklich nicht in dieses Land, das so anders ist als unser Dorf, unsere Stadt im tieferen Süden Italiens.

– – –

0,05 Uhr.
Da – die drei Männer hören es deutlich – nähert sich eine Campagnola in rascher Fahrt.
Das ist kein Streifenfahrzeug –
das i s t die Kommission aus Meran.
Der Uhrzeiger rückt weiter.
0,07 Uhr –
Das Auto hält auf der Brücke, wird von Soldaten umringt –
Offiziere steigen aus –
Ein Brigadier erklärt –
Seine Hand deutet auf den gesprengten Mast.
Da bekommt der Südtiroler Köpfe ins Visier des Zielfernrohres –
Hebt den Gewehrlauf an –
Auch die Maschinenpistole liegt richtig –
Der Finger am Abzug des Sturmgewehrs sucht den Druckpunkt –
ein Blick der Verständigung – – –
Geschoße fahren aus den Läufen.
Hart klicken die Hülsen, die ausgestoßen werden –
Leuchtspurketten zeigen an, dass die Schüsse zwei Meter über den Köpfen in den Hang bohren.
Die Erstarrung dauert den Bruchteil einer Sekunde, dann stieben die Soldaten auseinander.
Schreien – Hasten – Springen
Von der Seite her wird das Feuer erwidert –
Die Einschläge splittern das Holz der Bäume.
Die Maschinenpistole hat Ladehemmung, das Sturmgewehr feuert weiter.
Bald taucht der Mond in den Bergschatten ein –
Die MP bellt wieder auf –
Mehr als 600 Hülsen bedecken den Muldengrund –
Seit der ersten Salve sind kaum zehn Minuten verstrichen.
Verlassen steht die Campagnola – ein Blick durch das Nachtglas verschafft Gewissheit – weit und breit ist kein Soldat auf der Brücke zu sehen.
Das Armaturenbrett leuchtet hell – die Standlichter zeichnen kleine Kreise auf den Asphalt. Der Schütze hebt die Schulter –
Der Lauf des Sturmgewehrs sinkt tiefer –
Hohl knallt das Blech –
Haarscharf sitzen die Garben.
Nach fünf Schüssen wird das Armaturenbrett finster, verlöschen die Standlichter.

– – –

Die Magazine sind leer.

– – –

Unter der Campagnola liegt in seiner eleganten Uniform Karabinieri-Hauptmann De Rosa aus Meran.
Er hat die große „Paura“ (Angst) erlebt –
ü b e r l e b t .

– – –

Droben im Hochwald halten drei Südtiroler Rast.
Ein vierter stößt zu ihnen.
Der Morgen des 22. August 1961 dämmert herauf.- – –

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