Nachdem sich Frau Dr. Martha Stocker polemisch über die
Gedenkfeier für Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter am 8. Dezember
in St. Pauls geäußert hat, sieht sich der Südtiroler Heimatbund, der
zusammen mit dem Südtiroler Schützenbund alljährlich diese Heldenfeier
organisiert, genötigt, in einem offenen Brief an Frau Dr. Martha Stocker
die Dinge klarzustellen. Die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren
auch ÖVP und SVP Politiker (2009 Alt-Landesrat Sepp Mayr, 2006 Helmut
Kritzinger, 2004 Alt-Landesrat Dr. Bruno Hosp, 2003 Landeshauptmann
Wendelin Weingartner, 2002 Alt-Landeshauptmann Ing. Alois Partl) ohne
nachfolgende Polemik eine politische Rede auf dem Friedhof vor der
Gedenktafel gehalten haben, scheint die SVP-Politikerin verdrängt zu
haben.
Die Aussage, dass der Freiheitskämpfer Sepp
Kerschbaumer nicht für das Selbstbestimmungsrecht, sondern vielleicht
auch nur für eine Autonomie kämpfte, lassen sich am einfachsten durch
das von Frau Stocker selbst geschriebenem Buch "Unsere Geschichte",
erschienen bei der Silvius Magnago Akademie, klarstellen.
Offener Brief an Frau Dr. Martha Stocker
Sehr geehrte Frau Dr. Stocker!
In
den „Dolomiten“ vom 9. Dezember 2013 haben Sie in einem Interview
erklärt: „Die Kerschbaumer-Feier ist jedes Mal eine Zumutung, weil auf
einem Friedhof politische Reden gehalten werden.“
Das ist eine
schwere Kritik am Südtiroler Heimatbund (SHB), welcher an der
inhaltlichen Gestaltung dieser Feiern maßgeblich beteiligt ist. Nun ist
es aber so, dass das Leben und Sterben Sepp Kerschbaumers nicht von der
Politik losgelöst betrachtet werden kann, ebenso wenig wie man der
Helden von 1809 gedenken kann, ohne die politischen Umstände ihrer Zeit
mit einzubeziehen.
Ich darf darauf verweisen, dass in den
vergangenen Jahren auch Politiker der SVP und der ÖVP durchaus
politische Kerschbaumer-Gedenkreden in St. Pauls gehalten haben, ohne
dass dabei Kritik von Ihrer Seite laut wurde.
Sie haben in Ihrem
Interview des Weiteren erklärt, der österreichische
Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer habe eine „politische Wahlrede“
gehalten, was „der Würde des Ortes“ widersprochen hätte. Ich darf Sie
hier berichtigen: Erstens gibt es derzeit keine Wahlen, aus deren Anlass
der Redner hätte sprechen können, und zweitens hat der Redner weder
eine politische Partei noch einzelne Politiker namentlich erwähnt.
Sie haben dann behauptet: „…dabei hatte sich Sepp Kerschbaumer nie festgelegt für Selbstbestimmung oder Autonomie.“
Diese Behauptung hätten Sie als promovierte Historikerin und Lehrerin besser nicht aufstellen sollen.
Ich muss Sie nämlich bitten, sich an folgende Passage in Ihrem eigenen,
2006 von der Silvius Magnago Akademie herausgegebenen Buch „Unsere
Geschichte/ Südtirol 1914- 1992 in Streiflichtern“ zu erinnern: „Entheimatung
und Zukunftslosigkeit von jungen Leuten entluden sich dann in den
Sprengstoffanschlägen und in der Forderung nach Selbstbestimmung.“
Sepp
Kerschbaumer hat in einem Rundschreiben vom 19. April 1960 erklärt:
„Tirol ist unser und muss unser bleiben. Und es wird nur dann unser
bleiben, wenn wir alle entschlossen und bereit sind, dafür unser Letztes
herzugeben.“ Im Februar 1961 hat Kerschbaumer in seinem letzten
Rundschreiben vor der „Feuernacht“ erklärt: „Italien hat die heilige
Pflicht, das in seinen Händen befindliche, gestohlene Gut – Südtirol –
wieder zurückzuerstatten. Wir Tiroler wollen selbst frei entscheiden,
mit wem wir zusammenleben wollen. Es gibt für uns, und dies muss Ihnen
klar sein, nur eine Sicherheit, in Frieden und Freiheit als Tiroler
weiter leben zu können, vereint mit allen übrigen Tirolern im Staate
Österreich.“
Ich darf Sie aber auch bitten, in die Geschichte
Ihrer eigenen Partei zu blicken und bei Josef Fontana/Sepp Mayr in deren
Kerschbaumer-Biographie nachzulesen, dass der damalige Frangarter
SVP-Ortsobmann 1960 auf der SVP-Landesversammlung von seiner Partei
gefordert hatte: „Das Volk will die Selbstbestimmung und die Partei muss dem Willen des Volkes Rechnung tragen.“ Wir wissen, dass dies nicht geschehen ist und die Dinge in der Folge einen tragischen Verlauf genommen haben.
Das
aus Anlass der „Feuernacht“ vom „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS)
verbreitete Flugblatt mit dem Titel „Die Stunde der Bewährung ist da!“
hat damals in großen Lettern die Forderung erhoben:
„WIR FORDERN FÜR SÜDTIROL DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT!“
Nun
könnte man einwenden, dass Sepp Kerschbaumer vor dem Gericht in Mailand
die Forderung nach Selbstbestimmung nicht erhoben, sondern auf Frage
des Gerichtsvorsitzenden die Erlangung der Autonomie als Ziel der
Sprengstoffanschläge angegeben hat.
Dazu ist zu sagen, dass dies
eine Vorgabe der Verteidiger war, um eine lebenslange Haftstrafe für
alle Angeklagten zu vermeiden, die bei einer Verurteilung nach dem alten
faschistischen Strafgesetzbuchartikel 241 (Attentate gegen die
Unversehrtheit, Unabhängigkeit oder Einheit des Staates) unvermeidlich
gewesen wäre.
Sepp Kerschbaumer war wie ein Vater zu seinen
jüngeren Mitverschworenen. Das können Ihnen ehemalige Mitstreiter wie
Sepp Mitterhofer bestätigen. Er selbst hätte vielleicht ein solches
Bekenntnis vor Gericht nicht gescheut. Es war aber undenkbar für ihn,
seine jungen Kameraden samt ihren Familien, Frauen und Kindern, ins
Verderben der Folgen einer lebenslangen Haftstrafe zu reißen.
Sie
selbst, sehr geehrte Frau Dr. Stocker, haben in Ihrem bereits genannten
Buch auf der Seite 63 geschrieben, dass die Nennung der Landesautonomie
als Ziel der Anschläge die Angeklagten vor dem Hochverratsparagrafen
geschützt hätte. Kerschbaumer hat aber in derselben Verhandlung diese
Aussage relativiert und ist damit an die Grenze des Möglichen gegangen.
Dazu ist in Ihrem eigenen Buch auf Seite 64 zu lesen: „Allerdings fragte
er im Prozess auch zurecht, weshalb das Recht auf Selbstbestimmung in
Italien unter Strafe gestellt werden könne, wenn sogar Ministerpräsident
Giuseppe Pella 1953 die Selbstbestimmung für Triest gefordert hatte.“
Ich
bitte Sie also, sehr geehrte Frau Dr. Stocker, Sepp Kerschbaumer nicht
als schwankenden Menschen darzustellen, der nicht gewusst habe, ob er
die Selbstbestimmung anstrebe oder sich mit einer Landesautonomie
bescheiden wolle.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen!
Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)